Thomas Seyde war von 1995-2024 Psychiatriekoordinator der Stadt Leipzig .
Wer sind die geistigen Mütter des Psychoseseminares in Leipzig, wie ist diese Idee entstanden?
Thomas Seyde: Also, meines Wissens war es so, dass Frau Haase damals beim Durchblick und ich wir uns dazu verständigt haben aber das ist jetzt meine Wahrnehmung. Natürlich war es in der Psychiatrie hier auch im Schwange man sprach viel davon weil, man muss wissen, das Psychoseseminar gab es zu dem Zeitpunkt schon recht lange in Hamburg von Thomas Bock und Dorothea Buck initiiert, das ist ja bekannt die Geschichte und jetzt, verrückter Weise, gab es an der TU Dresden schon vor Leipzig ein Psychoseminar. Davon hatten wir erfahren. Da haben wir gesagt „Mensch es kann doch nicht sein, dass Dresden ein Psychoseseminar hat und wir nicht“. Und dann haben wir uns entschlossen das zu machen und der Auftakt war auch im Durchblick und war sehr groß, da waren sehr viele Menschen die haben damals nicht in den Rahmen gepasst wo die Galerie, die Ausstellung immer ist, sondern da mussten wir noch die Seitenflügel auf machen, dass die Menschen noch rechts und links saßen, so nach meiner Wahrnehmung, es war sehr, sehr voll. Und die ersten zwei Mal also sind wir kaum zu Rande gekommen, also da war es schwierig von der Zahl, der Personenzahl, ja, und dann, seit dem also meines Wissens mit fast keiner Unterbrechung haben wir das Psychoseseminar hier in Leipzig gemacht. Seit 1997 also das müssten fast 200 Sitzungen gewesen sein.
Das heißt, dass das Psychoseseminar sehr gut angenommen wurde von Anfang an.
Thomas Seyde: Also am Anfang mehr, das ließ dann natürlich nach und es gab auch immer Etappen, wo es weniger gut lief, wo es sich auf so eine Kerngruppe reduzierte und wir uns auch Sorgen machen mussten um das Psvchoseseminar selber. Muss man sich übrigens immer Sorgen machen z. B. dass das auch wirklich ein Trialog ist das also alle drei Partner dabei sind Vertreter der Psychiatrie, möglichst auch therapeutische Mitarbeiter, dass heißt also Ärzte, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter, die auch sozusagen Einfluss auf die Therapie nehmen können und die richtige im Behandlungsprozess stehen und Angehörige und Psychiatriebetroffene, dass also sozusagen aus allen Bereichen jemand dabei ist. Und das hat sich aber aus meiner Sicht, da müsste man noch Kollegen befragen, phänomenal entwickelt also nach vielen Durststrecken über die Zeit ist das inzwischen gut angenommen, wir haben immer aus allen Bereichen Kollegen dabei.
Kann man da Namen von Professionellen nennen, die das gerne wahrnehmen und warum? Was für sie vielleicht wichtig ist?
Thomas Seyde: Also Namen kann ich jetzt nicht nennen aber es waren zum Beispiel alle Klinikleiter aus der Psychiatrie , die in Leipzig Rang und Namen haben schon da ähh dann werden auch zunehmend junge Kollegen, ärztliche Kollegen, die anfangen in der Psychiatrie ihre Fachausbildung zu machen, kommen, es kommen auch Psychotherapeuten in Ausbildung, es kommen sehr viele Mitarbeiter von der komplementären Psychiatrie also von den vereinsunterstützenden psychosozialen Hilfevereinen also Boot, Diakonie, Verein zur Wiedereingliederung und alle Vereine, abwechselnd Sozialarbeiter, die sich da abends mit zwei Stunden hinsetzen und mit diskutierten.
Also Du hattest gesagt dieses trialogische Prinzip, darüber hatten wir gesprochen. Ursprünglich, warum wurde das Psychoseseminar in’s Leben gerufen.
Was war der Grund und was beabsichtigt man damit?
Thomas Seyde: Also der Auslöser, der Anlass war eine große Konferenz in Hamburg, der Weltkongress der Psychiatrie da waren namhafte Vertreter auch der klassischen und der Reformpsychiatrie da. Und der Ausgangspunkt dort war auch die Auseinandersetzung von Dorothea Bug, mit ihrer eigenen Lebensgeschichte und auch Krankheitsgeschichte und da teilt sich das Feld eigentlich auf wie wird jetzt nachdem die Psychiatrieerfahrenen einen eigenen Verband hatten und auch eine eigene, wie soll man sagen, äh eine eigene Stimme bekommen hatten jetzt auf der offiziellen Seite. Wie wird das, wie gehen wir miteinander um. Und das ist geradezu für mich genial, dass das so entstanden ist dann. Thomas Bock der auch so ein anderes Verständnis von Herangehen an Psychose und Psychoseerfahrung und der Einarbeitung dieser Erfahrung in die Lebensgeschichte also ein grundlegend anderes Krankheitsverständnis auch hatte, dass das zusammen kam, ja, und daraus hat sich dann so entwickelt, dass man gesagt hat damals es ist für die Ausbildung gut, wenn man nicht nur das Pathologische oder das Diagnostische lernt, was man natürlich auch lernen muss. Aber diese als Arzt jetzt meinetwegen oder als Psychologe oder als Sozialarbeiter das man eben auch erlebt wie derjenige das erfährt, wie erfährt er das Erlebnis der Entwicklung der Erkrankung, wie erlebt er sozusagen den Umgang dann in der Psychiatrie, was macht das mit mir, was macht das mit dem Angehörigen wie kann der Angehörige sozusagen, es kommt oft übrigens raus, das dass die schlimmste Rolle ist. Letztens war jemand mal da, der ist sozusagen in einer Person alles, Anghöriger, Betroffener und Profi und sagt: „Also die schlimmste Rolle die ich habe ist eigentlich die des Angehörigen“. Da ging es um ein Kind, das auch schwerst krank war und dann leider verstorben ist. Diese Erkenntnis führte dazu, dass man sozusagen diesen Austausch dann regelhaft eingeführt hat. Nicht nur an diesem Standort, bundesweit gibt es über hundert Psychoseseminare in großen Städten. In Sachsen auch inzwischen auch, in Dresden ist das ja dann eingeschlafen leider und durch das Leipziger Psychoseseminar gab es immer wieder Anfragen aus Chemnitz, aus Dresden, aus Döbeln, Grimma, Mittweida also aus den Regionen hier in Sachsen, Görlitz, Zwickau. Und in Chemnitz ist das Psychoseseminar wieder stabil da in Dresden auch und da gab’s zum Teil Austausch auch zum Leipziger Psychoseseminar und auch Nachfragen und wenn wir konnten haben wir das auch unterstützt, dass das sich wieder stabilisiert hat und das läuft auch jetzt doch.
Ok, also aktuell in Chemnitz, Dresden, Leipzig, Döbeln.
Thomas Seyde: Leipzig, ja, Zwickau habe ich jetzt gerade gesprochen da war die Kollegin, die kommt immer, da habe ich dann zu der gesagt: „Nun, dass ist ja gut, dass Sie hier aus Zwickau her kommen aber es ist doch ganz schön weit warum machen sie es denn nicht selber“. Sie will’s jetzt überlegen, vielleicht macht sie es.
Also, ich hatte hier ja noch die Frage, welche Themen werden im Psychoseseminar behandelt?
Thomas Seyde: Wir haben anfänglich Themen vorgegeben und dann dazu eingeladen, das war zum Beispiel zum Thema „Forschung“, da haben wir dann den Leiter des Max Plank Instituts hier eingeladen, zur Hirnforschung eben. Davon sind wir aber abgekommen. Also das was am Psychoseseminar das größte Problem ist, ist der Name. Der Name Seminar suggeriert das es eine Weiterbildungsveranstaltung ist.
Genau.
Thomas Seyde: Und das ist, schade eigentlich, weil eigentlich müsste es Erfahrungsaustausch heißen, müsste es Trialog heißen.
Ja.
Thomas Seyde: Das es sozusagen um Erfahrung geht und das war uns auch das Wesentliche. Jetzt suchen wir ein paar Themen aus, die uns so über den Weg laufen, oder die wir gehört haben, die wir noch nicht besprochen haben und da machen wir eine Liste und dann geben wir diese rum und alle können Punkte eintragen und dann vergeben wir, wo die meisten Punkte sind, diese Themen und die besprechen wir dann.
Was kann man im Psychoseseminar Lernen?
Thomas Seyde: Genau, Richtig. Da kommen viele sozusagen wie in eine Lehrveranstaltung aber der eigentliche Gewinn liegt in der gegenseitigen Erfahrung und der Erkenntnis, dass wenn man miteinander spricht, der Erkenntnisgewinn höher ist, als wenn ich eine Lehrveranstaltung besuche. Und zu mindestens ist es gleichwertig, so würde ich das sehen. Diese Erfahrung diesen Austausch auch zu wagen auch die eigene Erkenntnis das das eigene Leben, auch der Mitarbeiter, ja, auch mit Brüchen einhergeht das wir viele ähnliche Erlebnisse haben, anders aber wir haben ähnliche Erlebnisse und dass das etwas gemeinsames ist, das verändert den Blick auf die Psychiatrie.
Und auf die eigene Krankheit vielleicht.
Thomas Seyde: Auch für den Betroffenen selbst, ja. Er kann zu der Erkenntnis kommen was er in der Regel ja übrigens oft hat aber ihm nicht bestätigt wird, dass das zu seinem Leben dazugehört und das in seinem Leben eine wichtige Phase darstellt und das er immer wenn es ihm gelingt damit umzugehen oder wenn er mal Krisenphasen hat dass das sozusagen auch nicht nur ein Verlust sondern auch ein Gewinn sein kann.
Wer darf am Psychoseseminar teilnehmen?
Thomas Seyde: Alle! Uns ist es wichtig, dass es offen ist. Es gibt so einen Kern, der also regelmäßig kommt. Interessanter Weise wechselt der Kern auch, ja. Es gibt so eine Kerngruppe die auch lange Zeit dabei bleibt aber dann auch wechselt. Und dann gibt es so eine Gruppe, die kommen regelmäßig, auch in Abständen, vielleicht so ein Drittel, Drittel Kern, Drittel so und dann gibt es ein Drittel, das ist wirklich ein Phänomen, die sind jedes Mal neu. Kommen jedes Mal ganz andere Menschen. Und das ist verrückt, weil, dass erwartet man nicht und trotzdem ist unserer Eindruck, dass die alle mit Benefit, mit Gewinn, nach Hause gehen. Das ist ja ein offenes Gespräch. Es ist ein offenes Gespräch, es ist am Anfang nicht klar, was am Ende steht und das was am Ende entsteht ist nur durch diese Offenheit möglich.
Danke. Das wäre jetzt meine letzte Frage gewesen, das war aber schon das Fazit jetzt, das würde ich so sehen.
Thomas Seyde: Das ist das Fazit ja und das ist eine Lehre, die die Psychiatrie aufziehen könnte wenn sie denn Zeit genügend, Personal usw. haben. Das diese Offenheit, deswegen ist es ja ein offener Dialog, so eine Bewegung die jetzt so aktuell wieder einen Namen hat, aus Skandinavien kommt, aus Finnland, aus Westlappland da ist es ganz ähnlich. Dort wird in Erstkrisengesprächen ganz offen mit der Familie und allen die demjenigen, der sozusagen ein Problem hat, gesprochen und das diese Offenheit ist sehr hilfreich und ist dort in dem Prozess therapeutisch. Das Psychoseseminar ist therapeutisch, obwohl es kein therapeutischen Absichten hat es ist ohne Absicht therapeutisch.
Danke für das Gespräch.
Das Gespräch führte Martin Baier am 27. 06. 2017.
11. 08. 2020